Ein Spreewald-Ausflug in der fünften Jahreszeit
Ein Bericht von Alexander Bertsch
Der Wetterbericht hatte uns einen durchwachsenen Sonntag beschieden. Wasser von unten: gesichert – Wasser von oben: durchaus möglich. Aber die Wirklichkeit meint es gut mit uns. Der Spreewald zeigt sich von seiner schönsten sonnigen Seite.
Wir treffen uns in der Stadtmitte von Lübbenau und laufen gemeinsam zum Bootsverleih. Weil es der letzte Sonntag der Brandenburger Schulferien ist, sind wir nicht ganz allein. Gut, dass Robin die Paddelboote für unsere Gruppe reserviert hat. Mit sieben Doppelkajaks geht es los, später stößt noch ein achtes dazu. Ziel ist eine historische, auf einer Spree-Insel gelegene Gastwirtschaft. Wenige Minuten nachdem unsere Boote abgelegt und wir die Kernzone Lübbenaus verlassen haben, kehrt Stille ein. Wir gleiten durch Wälder und Wiesen. Alte Spreewaldhäuser säumen die Strecke. Fließe und Gräben verzweigen sich und führen wieder zusammen. Weil die Gruppe groß genug ist, können wir auch eine handbetriebene Schleuse befahren – normalerweise werden Paddelboote an den zahlreichen Wasserstufen umgetragen.
Nach einer guten Stunde ist die Wotschofska erreicht. Der Name ist niedersorbisch und bedeutet eigentlich nicht mehr als „Inselchen“. Seit 1894 gibt es die in Blockhausbauweise errichtete Gaststätte, heute ist sie ein geschütztes Denkmal. Der lange gemeinsame Tisch bietet Gelegenheit, sich mit den Mitreisenden zu unterhalten. Es ist schön, hier viele Mitglieder kennenzulernen, die uns noch nicht bekannt sind. Wir essen Gurkensalat, Gurkensuppe, Fisch und andere Spezialitäten und genießen die ausgelassene Spätsommerstimmung.
Als uns die Ruhe des Rückwegs umfängt und der Blick über die Wiesen schweift, muss ich unwillkürlich an Tucholskys Aufsatz denken, der den Übergang von Sommer zu Herbst so wunderbar beschreibt:
Wenn der Sommer vorbei ist und die Ernte in die Scheuern gebracht ist, wenn sich die Natur niederlegt, wie ein ganz altes Pferd, das sich im Stall hinlegt, so müde ist es – wenn der späte Nachsommer im Verklingen ist und der frühe Herbst noch nicht angefangen hat –: dann ist die fünfte Jahreszeit.
Nun ruht es. Die Natur hält den Atem an; an anderen Tagen atmet sie unmerklich aus leise wogender Brust. Nun ist alles vorüber: geboren ist, gereift ist, gewachsen ist, gelaicht ist, geerntet ist – nun ist es vorüber. Nun sind da noch die Blätter und die Gräser und die Sträucher, aber im Augenblick dient das zu gar nichts; wenn überhaupt in der Natur ein Zweck verborgen ist: im Augenblick steht das Räderwerk still. Es ruht.
Mücken spielen im schwarz-goldenen Licht, im Licht sind wirklich schwarze Töne, tiefes Altgold liegt unter den Buchen, Pflaumenblau auf den Höhen … kein Blatt bewegt sich, es ist ganz still. Blank sind die Farben, der See liegt wie gemalt, es ist ganz still. Boot, das flußab gleitet, Aufgespartes wird dahin-gegeben – es ruht.
(Auszug aus „Die fünfte Jahreszeit“, Kurt Tucholsky, 1929)
Meine Frau und ich verabschieden uns von der Gruppe und kürzen die Strecke ein wenig ab, weil wir noch eine abendliche Einladung in Cottbus haben. Die Kanäle werden immer schmaler und nach einer Viertelstunde ist es gewiss – wir haben uns hoffnungslos verfahren. Das Lehder Fließ ist eben doch nicht der Lehder Graben…
Als wir am Bootsverleih eintreffen, ist der Rest der Gruppe schon auf dem Weg nach Hause. Dank an Robin Jost für die Organisation. Wir überlegen schon, mit welchem Ziel sich die Idee der gemeinsamen DJG-Ausflüge fortsetzen lässt…
Libelle an Deck
stille Fahrt durchs Paradies
ein Boot im Herbstlaub.
(Spreewald-Haiku von Alexander Bertsch)