„Jenseits der Anonymität der Megacity: Tokyo als dynamisches Gefüge von Orten der Zugehörigkeit und Begegnung“
Vortrag von Prof. Evelyn Schulz, (Japan-Zentrum, Ludwig-Maximilians-Universität München)
Einsamkeit und soziale Isolation zählen in Japan zu den zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen. Sie betreffen ländliche Regionen und urbane Räume gleichermaßen – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Demgegenüber beschreiben neuere Publikationen wie Emergent Tokyo (2022) und Sharing Tokyo (2023) Tokyo als einen dynamischen urbanen Organismus, der durch spontane Entwicklungen, vielfältige kulturelle Einflüsse und gemeinschaftliches Engagement geprägt ist. Im Zentrum des Diskurses stehen kleinräumige Stadtraumstrukturen, die menschliche Maßstäblichkeit und Nachbarschaftlichkeit fördern und als vital, lebenswert sowie besonders anpassungsfähig an sich wandelnde sozioökonomische Bedingungen gelten.
In diesen Kontext lässt sich auch das Projekt The Tokyo Toilet einordnen, das durch Wim Wenders’ Film Perfect Days internationale Aufmerksamkeit erlangte. Der Film entstand im Kontext des 2018 in Shibuya initiierten Projekts, bei dem 16 Architektinnen und Architekten – darunter Pritzker-Preisträger wie Ban Shigeru, Ando Tadao und Maki Fumihiko – öffentliche Toiletten entwarfen. Durch ihre innovative und inklusive Gestaltung setzten sie neue Maßstäbe in einem oft übersehenen Bereich der Architektur. Die Anlagen wurden überwiegend in kleinen Parks und Nischen realisiert und stehen exemplarisch für die Verbindung von Design, Funktionalität und sozialem Nutzen. Perfect Days eröffnet dabei vielfältige Perspektiven auf Einsamkeit und soziale Isolation und verdeutlicht, wie alltägliche Infrastrukturen zur Aufwertung urbaner Räume beitragen können – ohne dabei jene aus dem Blick zu verlieren, deren Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe eingeschränkt ist.
Ziel meines Vortrags ist es, unterschiedliche Perspektiven zusammenzuführen und anhand ausgewählter Beispiele aufzuzeigen, wie kleinräumige Interventionen in einer entgrenzten Megacity wie Tokyo zur Schaffung von Orten der Zugehörigkeit und Begegnung beitragen können. Dabei fließen unter anderem stadtsoziologische Diskurse ein, die auf theoretischen Ansätzen des 20. Jahrhunderts basieren und zugleich gegenwärtige urbane Transformationsprozesse reflektieren.