ein Bericht unseres Mitglieds Jürgen Maeno, der zusammen mit seiner Frau Yoriko
und seiner Tochter Erika auf Shikoku lebt

Japanfans kennen diese Orte: Himeji – mit seiner wunderschönen Burg, Kobe – und
sein Wagyo-Rindfleisch, das Bikan-Viertel von Kurashiki, Miyajimas rotes Torii im
Meer und natürlich Hiroshima. Sie liegen alle am Setouchi-Binnenmeer auf der
Hauptinsel Honshu. Ihr gegenüber liegt die kleinste Hauptinsel Shikoku. Dazwischen
gibt es einige bislang unbedeutende Fischer-Inseln. Seit Jahrzehnten verlassen junge
Leute ihre Heimat. Schulen haben ihren Betrieb eingestellt, Menschen sterben, Häuser
verfallen. Und trotzdem – oder gerade deswegen? – geht von diesen Inseln ein
morbider Charme aus.

Wie alles begann.
Angefangen hat alles auf der kleinen Insel Naoshima. Hier entstanden zwei wunderschöne Museen für Moderne Kunst. In der Dauerausstellung sind u. a. Werke von Claude Monet, Installationen von James Turell und Walter de Maria zu sehen. Aber auch in den Gärten, an den Straßen und im Hafen stehen Skulpturen. Ein übergroßer Kürbis der Künstlerin Yayoi Kusama begrüßt die anreisenden Gäste bereits am Hafen. Vielleicht
kommen sie gerade aus Teshima, der zweiten Kunstinsel?
Einst als Müllinsel missbraucht, heute eine Perle im Binnenmeer.
Einzigartig fügt sich dort eine ovale Betondecke zwischen die Hügel. Es entsteht eine künstliche Höhle, die den Betrachter auf sich selbst zurückwirft. Überhaupt: die meisten Kunstwerke widmen sich der Wahrnehmung und deren Verzerrung. Dazu das Meer, viele verwaiste Häuser und Gastfreundschaft, die nicht gespielt wird. Denn die Bewohner sind froh, dass ihre Inseln diese Renaissance erleben. Könnte also Kunst die ganze Region positiv verändern? Nun. Das ist jedenfalls der Anspruch der Setouchi-Triennale.

Ich möchte erzählen, wie wir die Triennale erlebt haben. Wegen Overtourismus haben
wir die beiden Kunstinseln Naoshima und Teshima gemieden. Die meisten
Ausstellungen sind auch außerhalb der Triennale zu besichtigen. Wir empfehlen sie
daher für einen Abstecher außerhalb der Saison. Die kleine Insel Mejima, nur 20
Minuten von Takamatsu entfernt, besuchten wir zweimal im Sommer. Allerdings
weniger wegen der Kunst sondern wegen eines neuen Freundes, der dort lebt. Es ist
Thorsten -Toto-, der mit seiner japanischen Frau und Tochter dort ein kleines Gasthaus
mit Café führt. Wenn er hinter seinen Pfannen brutzelt und dabei auf das Meer schaut,
ist der glücklichste Mensch auf Erden. Ich frage ihn, ob er sich schon an das Paradies
gewöhnt habe. Nein. Jeder Tag bleibt ein besonderer Tag. Wer gerne zu dem Klang
der Wellen einschläft, ist hier genau richtig.
Meine Frau Yoriko beginnt mit der Arbeit für die Setouchi-Triennale schon im
Frühjahr. Sie erhält den Auftrag die Eröffnungsfeier für die Insel Awashima zu
gestalten. Ihre Gruppen stehen noch in den Proben für das Global Water Dances
Projekt. Und eigentlich ist nebenher wenig Zeit. Der Deutschlandurlaub wird
kurzerhand gecancelt. Ohne Mann und Tochter kann sie auch besser Kunst
machen….Sie recherchiert viel: In Awashima gab es eine Marineschule. Die
Menschen waren sehr patriotisch. Irgendwo in der Bucht liegt ein amerikanisches
Kriegsschiff. Das Leben auf der Insel war bunt. Doch mit der Zeit schlossen die
Bibliothek, die Bank, das Postamt, beide Schulen. Paradoxerweise bedeutete der
wirtschaftliche Aufstieg Japans der langsame Abstieg der kleinen Inseln.

Yoriko entscheidet, die alte Schule am Berg zu bespielen. Ein Künstler aus Vietnam lässt dort einen Turm aus Bambus bauen und mit Pflanzen aus seiner Heimat beranken. Die Schule steht seit 15 Jahren leer. Aus dieser Entscheidung entsteht dann die Idee für das Stück. Eigentlich sind es drei Stücke. Zuerst präsentieren die Insulaner einen Tigertanz zu Taiko-Trommelklängen. Ein Singer-Songwriter singt seine Lieder. Gemeinsam tanzen alle Anwesenden einen Bon-Odori, den bekannten japanischen Kreistanz. Das war der erste Teil. Danach schreiten wir durch die stillgelegte Schule. Die Mitoyo-Dancecreaters haben in den einzelnen Klassenzimmern verschiedene Szenen inszeniert. Ein Physiklehrer mit Drähten. Schüler mit Büchertürmen. Die Musiklehrerin am Flügel. Für eine kurze Zeit ist diese Schule wieder belebt. Dann folgt das eigentliche Stück. Yoriko hat hier den Fokus auf die Shoa-Zeit gelegt. Eine Liebesgeschichte zwischen einem Marine-Soldaten und seinem Mädchen. Herzzerreißend.

Alle drei Jahre reisen rund eine Millionen Kunstfans aus der
ganzen Welt nach Setouchi. Aus alten Dorfschulen werden
Galerien, verwaiste Häuser zu Installationen. Tänzer zeigen ihre Produktionen, Klangkünstler neue Kompositionen. Am 9.
November 2025 endete die sechste Setouchi Triennale. Für die Region stets ein Highlight und eine Chance, dem
Niedergang zu trotzen.